Die Viktimisierungsstudie mit dem Titel „Gewalt gegen Manner in Partnerschaften – Von der Scham zur Hilfe“ ermittelt im Rahmen eines multimethodalen Studiendesigns die Beziehungsdynamiken, Gewalterfahrungen und Gewaltbelastungen in hetero- und gleichgeschlechtlichen partnerschaftlichen Beziehungen.
Hierbei werden Formen physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt berücksichtigt. Auch die Vorgeschichte der Betroffenen zu den einzelnen Gewalttaten soll in der Untersuchung betrachtet werden. Weiterhin wird die Studie Erkenntnisse zu Ausmaß und Relevanz von Gewalt gegen Männer in Partnerschaften gewinnen sowie Hintergründe und Folgen der Gewalt beleuchten. Die Studie ist im Sinne eines mixed methods designs angelegt und integriert sowohl quantitative als auch qualitative Forschungsmethoden.
Ferner beinhaltet das Forschungsdesign eine repräsentative Untersuchung zum Thema Gewalt gegen Männer in partnerschaftlichen Beziehungen.
Im Einzelnen soll die Studie die folgenden Projektziele erreichen:
- Gewinnung von wissenschaftlich validen Zahlen der Opfergruppe von partnerschaftlicher Gewalt betroffener Männer
- Einblicke über die Gewalterfahrungen von Männern in partnerschaftlichen Beziehungen
- Entwicklungen einer passenden Hilfe- und Beratungsinfrastruktur, sowie Hilfsangebote für Männer, die von Beziehungsgewalt betroffen sind
- Anregung eines gesellschaftlichen Diskurses
Die Projektdauer der Studie ist auf 18 Monate angelegt.
„Männer als Opfer von Beziehungsgewalt scheuen sich oft, Hilfe zu holen oder Anzeige zu erstatten. Sie schweigen über ihre Probleme und die Scham hindert sie daran, sich selbst zu schützen. Als Mann darüber zu sprechen, dass man Opfer geworden ist, ist ein großes Tabu und scheint sich mit dem Rollenverständnis der Männer nicht zu vertragen. Hier muss sich etwas ändern“, sagt Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender des WEISSEN RINGS und Vorsitzender des Kuratoriums der WEISSER RING Stiftung.
Forschungsgegenstand der Viktimisierungsstudie
Das Thema partnerschaftliche Gewalt findet bereits seit mehreren Jahrzehnten Anklang in unserer Gesellschaft, wissenschaftlichen Diskursen und politischen Debatten und hat unter den Bedingungen der aktuellen Corona-Pandemie noch mehr an Schwere und somit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung gewonnen (siehe z.B. Neubert et al., 2020 sowie Bradbury-Jones & Isham, 2020). So verabschiedete die Bundesregierung beispielsweise 1999 und 2007 Aktionspläne gegen Gewalt in Partnerschaften, die sich jedoch im Besonderen auf die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bezogen. Zudem trat am 01. Januar 2002 das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) in Kraft, das eine klare Rechtsgrundlage für Schutzanordnungen innerhalb des Zivilrechts schafft (z.B. Kontaktverbot, Belästigungsverbot). Auch wurde 2011 bei einem Zusammenkommen des Europarates in Istanbul ein Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt beschlossen, dass Richtlinien sowie umfassende Maßnahmen zur Intervention und zur Prävention für die Mitgliedsstaaten des Europarates festlegt (Istanbul- Konvention). Im Zuge dessen wurde häusliche Gewalt als „[…] alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte“ definiert (Art. 3 Abs. b Istanbul-Konvention). In Deutschland ist die Konvention am 1. Februar 2018 in Kraft getreten. In Artikel 2 Abs. 2 der Istanbul-Konvention werden im Gegensatz zu den oben genannten Aktionsplänen auch Empfehlungen dafür ausgesprochen, alle Opfer partnerschaftlicher Gewalt einzubeziehen, also neben Frauen und Kindern auch gewaltbetroffene Manner zu schützen.
Das Problem partnerschaftlicher Gewalt gegen Manner erhielt erstmals in den 1970er Jahren durch das Überblickswerk „The Battered Husband Syndrome“ (Steinmetz, 1977) sowie eine erste repräsentative Untersuchung aus den Vereinigten Staaten zur Gewalt in der Familie (Strauss et al., 1980) Einzug in den wissenschaftlichen Diskurs. In der Untersuchung von Strauss et al. (1980) wurde festgestellt, dass Männer und Frauen ähnlich häufig von partnerschaftlicher Gewalt betroffen sind (siehe auch Schwithal, 2005 für Deutschland). Eine jüngere vom KFN durchgeführte repräsentative Studie aus Deutschland berichtet hingegen von signifikant höheren Gewalterfahrungen von Frauen (Hellmann, 2014; siehe auch z.B. Breiding, 2014 für die USA oder Thureau et al., 2015 für Frankreich sowie Landes-kriminalamt Nordrhein-Westfalen, 2020). Ermittelt wurde eine Lebenszeitprävalenz der Viktimisierung bezogen auf körperliche partnerschaftliche Gewalt von 3,8 % für Frauen und 1,3 % für Manner (Hellmann, 2014). Deutlich hoher aber ihn ähnlicher Geschlechterrelation fallen die Lebenszeitprävalenzen für körperliche partnerschaftliche Gewalt in der von Breiding (2014) in den USA durchgeführten Untersuchung aus. Hier ergibt sich eine Viktimisierungsquote von 22,3 % für Frauen und 14,0 % für Manner. Untersuchungen, die sich spezifisch mit partnerschaftlicher Gewalt gegen Manner befassen sind für Deutschland allerdings kaum zu finden. Auch eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) 2002 in Auftrag gegebene explorative nicht repräsentative Pilotstudie „Gewalt gegen Manner“ kann hier nur einen kleinen Beitrag leisten. Dennoch macht diese Untersuchung erneut deutlich, dass auch Männer häufig von partnerschaftlicher Gewalt betroffen sind: Etwa jeder vierte Mann gab an, mindestens einmal mindestens eine Art körperlicher Gewalt durch die jeweilige Partnerin (bzw. Partner) erfahren zu haben; psychische Gewalt (in Form sozialer Kontrolle) erlebte fast jeder fünfte Befragte (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSFJ], 2005). In Bayern wurde 2007 eine Telefonbefragung von 1.000 Männern durchgeführt, in der ebenfalls eine hohe Anzahl an Befragten in Gewalt belasteten Beziehungen lebten bzw. davon berichteten. 59,8% wurden mindestens einmal von ihrer Partnerin bzw. ihrem Partner ignoriert, 55,4% beleidigt, 12,5% gestoßen oder geschubst und 3,0% geohrfeigt (Lamnek et al., 2013). Auch laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) waren im Jahr 2018 26.889 Manner von Partnerschaftsgewalt betroffen (Bundeskriminalamt [BKA], 2020).
Werden darüber hinaus Jugendliche einbezogen zeigt sich, dass auch männliche Jugendliche in Deutschland Opfer partnerschaftlicher Gewalt werden. So wurde beispielsweise in der repräsentativen KFN-Schuler*innenbefragung in Niedersachsen beobachtet, dass männliche Jugendliche der neunten Klasse emotionale (42,6%), physische (8,2%) und sexuelle (3,5%) Gewalt in Partnerschaften erleben (Kliem et al., 2018; fur Hessen siehe Blattner et al., 2015). Kolbe und Buttner (2020) haben darüber hinaus untersucht, wie viele männliche Betroffene partnerschaftlicher Gewalt eine rechtsmedizinische Befunddokumentation erbeten haben. Es hat sich gezeigt, dass im Zeitraum zwischen 2013 und 2018 insgesamt 16 männliche Erwachsene in der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Rostock vorstellig waren. Bei der ausgeübten, zum Teil auch wechselseitigen Partnerschaftsgewalt handelte es sich überwiegend um gering- bis höhergradig intensive stumpfe körperliche Gewalt (Kolbe & Buttner, 2020).
International lassen sich diesbezüglich diverse Untersuchungen finden (z.B. Barrett & St. Pierre, 2013; Finneran & Stephenson, 2013; Merrill & Wolfe, 2000; Stults et al., 2016). Bezogen auf Deutschland hat sich lediglich eine nicht repräsentative Befragung homosexueller Manner in Berlin (N = 310) diesem Thema gewidmet und ermittelt, dass 11,0 % der befragten Männer von sexueller Gewalt in der Partnerschaft betroffen waren (Krahe et al., 2000). Weitere Studien lassen sich für Deutschland nicht finden.
Zusätzlich zu dem Mangel an Untersuchungen aus Deutschland zum Thema partnerschaftliche Gewalt gegen Männer ist auch das Hilfesystem für betroffene Männer in Deutschland überschaubar. So gab es im Jahr 2012 nur ein einziges ehrenamtliches Männerhaus (Lamnek et al., 2013). Zwar hat sich die Hilfelandschaft für Manner als Opfer partnerschaftlicher Gewalt durch Notruftelefone und Beratungsstellen sowie eine steigende Anzahl an Männerhäusern und Männerschutzwohnungen in den letzten Jahren verbessert, nur bildet sie vermutlich noch immer nur einen kleinen Anteil des tatsächlichen Unterstützungsbedarfs ab. Deutschlandweit gibt es nach eigenen Berechnungen 33 Platze für schutzsuchende Manner, dem gemäß Deutscher Bundestag (2019) schätzungsweise 14.600 Plätze in Frauenhäusern gegenüberstehen. Eine breite Hilfelandschaft ist jedoch auch für Manner von großer Bedeutung, was sich darin zeigt, dass erlebte Partner-schaftsgewalt auch bei Männern mit diversen Folgen assoziiert sein kann, zumindest gemäß internationalen Untersuchungen (Bates, 2020; Carbone-Lopez et al., 2006; Hellemans et al., 2015) und vereinzelter nationaler (Kolbe & Buttner, 2020) Untersuchungen.
Aktuelle repräsentative Zahlen zur Situation in Deutschland liegen allerdings weder zur Betroffenheit und deren Folgen, noch zu damit in Verbindung stehenden Bedarfen vor